Interdisziplinäres BGC-Kolloquium
veranstaltet vom Berlin Gesture Center in Kooperation mit dem Museum für Kommunikation Berlin

 

Vortrag von Marianne Gullberg (Max Planck Institut für Psycholinguistik, Nijmegen, Niederlande):

Was Gesten über die Entwicklung von semantischen Repräsentationen im Erst- und Zweitspracherwerb aussagen / What gestures reveal about the development of semantic representations in first and second language acquisition

Freitag, 26. Oktober 2007, 15 Uhr, Museum für Kommunikation, Leipziger Straße 16, 10117 Berlin-Mitte

 




In diesem Vortrag wird eine Reihe von Studien vorgestellt, die untersuchen, ob und inwiefern Gesten bei kindlichem und erwachsenem Spracherwerb durch das Verständnis der Verbbedeutung beeinflusst werden. Der Untersuchungsbereich ist der der ‚Platzierung‘ wie z.B. eine Tasse auf einen Tisch stellen. Obwohl Gesten innerhalb dieses Bereichs eine Platzierung auf neutrale Art und Weise durch die Imitation der zugrunde liegenden (manuellen) Handlung darstellen könnten, scheinen erwachsene Muttersprachler in ihrer Gestenverwendung von der Verbsemantik beeinflusst zu werden.
Die erste Studie zeigt, wie die unterschiedliche Verbsemantik von ‚Platzierungen‘ im Niederländischen und Französischen, innerhalb der jeweiligen Sprache in unterschiedlichen Mustern gestischer Formen reflektiert werden; ähnlich wie Gesten, die sich auf den Ausdruck spontaner Bewegungen beziehen (z.B. Kita & Özyürek, 2003; McNeill & Duncan, 2000; Duncan, 2001/2005). Die zweite Studie weist nach, dass sich Platzierungsgesten von niederländischen Kindern systematisch mit der voranschreitenden Verständnisentwicklung von Platzierungsverben ändern. Die dritte Studie legt schließlich dar, wie erwachsene Holländer, die Französisch lernen, ihre Platzierunggesten im Bezug auf ihren (sprachlichen) Kenntnisstand verändern.
Insgesamt unterstützen diese Studien die (theoretische) Ansicht, dass Sprache und Gestik ein integriertes System bilden, da sie (a) starke Unterschiede im gestischen Gebrauch innerhalb der jeweiligen Sprache nachweisen konnten, die den Unterschieden auf der Sprachebene entsprechen und (b) da sich diese in ähnlichen und parallelen Unterschieden der sich entwickelnden Modalitäten zeigten. Die Annahme, dass Gestik vor allen Dingen ein kompensatorisches, unterstützendes System bei kindlichen und erwachsenen Sprachlernern bildet, kann hier kaum gestützt werden. Sprache und Gesten als ein System zu begreifen bedeutet zudem, dass die Analyse von Gesten neue Perspektiven für die Untersuchung von Einzelheiten semantischer Repräsentationen eröffnet, die innerhalb einer rein verbalen Sprachbetrachtung möglicherweise unentdeckt blieben; und dass sie über den Spracherwerbsprozess an sich Aufschluss geben, indem sie Verschiebungen innerhalb solcher Repräsentationen aufzeigen.


In this talk I will present a series of studies that explore whether the gestures of child and adult language learners are mediated by their current understanding of verb meanings. The target domain is that of ‘placement’, e.g. putting a cup on a table. Although the gestures in this domain could represent placement by imitating the practical manual action, adult native gesture use appears to be influenced by verb semantics.
The first study shows how the different placement verb semantics in Dutch and French is reflected in two cross-linguistically distinct patterns of gestural forms much like gestures related to the expression of voluntary motion (e.g., Kita & Ozyurek, 2003; McNeill & Duncan, 2000; Duncan, 2001/2005). The second study demonstrates how Dutch children's placement gestures change systematically as their understanding of placement verbs develops. Finally, the third study illustrates how adult Dutch learners of French gesture differently about placement as a function of proficiency. Together, these studies support the theoretical notion that speech and gesture form an integrated system as revealed (a) in robust cross-linguistic differences in gestural practices, which parallel differences in speech, and (b) in similar parallel differences across modalities in development. There is little support for the position that gestures mainly form a compensatory support system either in child or adult learners. The integrated nature of the systems further means that the study of gestures opens new possibilities for studying details of semantic representations which may go undetected in speech; and that they can shed light on the process of acquisition by revealing shifts in such representations.